Eher andersrum. Peter Wunderlich & die Liebe
Prolog
Peter Wunderlich hatte Schmetterlinge im Bauch. Sehr sogar. Seit sehr langer Zeit sogar. Die letzten neun Jahre waren nicht gerade wie im Flug vergangen, eher andersrum; die Zeit war von hinten nach vorn getröpfelt. Unschön. Und die letzten 18 Monate war ihm dann auch noch seine treue Gefährtin Ische, mit der er immer ausgiebigst in Wald und Flur auf Trebe gegangen war, einfach so weggestorben. Mindestens drei Jahre vor der Zeit. Wenn schon Single, dann wenigstens nicht ganz allein, das war immer sein Motto gewesen. Und mit Seelentröster, also Hund, um sich herum ließ sich die emotionale Ödnis in Herz und Hirn doch deutlich besser aushalten.
Peter hatte jetzt Schmetterlinge im Bauch. Endlich mal wieder. Er hatte Jule
in seinem Lieblingscafè getroffen. Es war brechend voll gewesen, an so einem
handelsüblichen Marktsamstag. Alle Tische, drinnen wie draußen, besetzt. Peter
war deswegen eigens um 8 Uhr zum Markt und nach ausgedehnter Stromerei direkt
ins Westgold gestolpert und hatte seinen Lieblingstisch in Beschlag genommen,
direkt neben dem großen Röstkessel, mit der Kaffeemaschine im Rücken.
Die fremde Frau kam gegen 9Uhr30 und
kratzte sich verblüfft am Hinterkopf. Alle Plätze besetzt, die meisten mit zwei
Menschen oder mehr. An Peters Tisch waren hingegen noch zwei Plätze frei. Und
da fragte die fremde Frau frank und frei, ob sie sich denn dazusetzen dürfe.
Dürfe sie gerne, dürfte Peter. Und so fing alles an. Mit einem losen Ende.
Wie heißt du?“, fragte die fremde Frau.
“Peter Wunderlich“, sagte Peter Wunderlich. „Hallo Peter Wunderlich, ich bin
Jule“, sagte Jule „Hallo Jule ohne Nachnamen“, freute sich Peter. Er hatte mal
eine Tochter gehabt, die auch Jule geheißen hatte, damals, als sie noch gelebt
hatte. „Bist du gestresst?“, fragte Peter mit Nachnamen, „gestresst, trotz der
Tatsache, dass Du in meinem Lieblingscafè sitzt und ein Franzbrötchen und einen
SchokMok in Gesellschaft fremder Männer genießen darfst“. Peter lächelte
altersmilde. Er schätzte sie auf 38 bis 42, die Krähenfüße und die Hände verrieten
sie. Ansonsten wäre sie locker für 29 durchgegangen.
Jule prustete los. „Hahaha, fremde
Männer, wenn du wüsstest, Peter Wunderlich! Ich, gestresst? Nicht die Bohne,
was wiederum zur Kaffeerösterei passt, in der wir gemütlich miteinander sitzen
dürfen. Aber du, du da mit deinem Schreibblock und Stift, was machst du denn so
hier?“ „Nun, es mag völlig überraschend kommen, aber ich schreibe.“ „Und was
schreibst du so, Peter Wunderlich? Einkaufszettel, Rechnungen, Bücher?“
"Einkaufszettel schrieb ich bereits zuhause", sagte Peter Wunderlich, "Rechnungen hab ich schon viel zu lange keine
mehr geschrieben. Früher mal, als ich noch in meinem Berufsleben rumlebte. Was
bleibt also von deinen launigen Vorschlägen, liebe Jule? Dein Plural war
korrekt, ich schreibe Bücher und in diesen Notizblock schreibe ich meine
Notizen – deswegen heißt der ja so. Und seltene Wörter sammle ich dort auch.“
„Boah, so richtige Bücher, so Romane und
so?“ „Jep, Romane, manchmal ne Novelle, selten Moritate. Im Herbst kommt mein
Fünftes, es ist dann neu, darum heißt es ‚Nuevo‘. Ach so: Manchmal lese ich
auch, öffentlich sogar. Im nächsten Monat wieder, in einer Punkerkneipe mit
Plüsch & Pink in Münster. Komm doch vorbei, wird lustig werden, ich bin
ganz sicher. Kommen viele Verrückte und eine Handvoll Durchgedrehte. Ich würde
mich freuen, falls du kämst. Dann weißt du auch, was ich so schreibe. Ist aber
ziemlich selbsterklärend. Zumeist zumindest.“
Peter hatte zu tun, ne ganze Menge
zumal. Es galt die nächste Lesung vorzuereiten. Das, was Bekannte gerne
Vorlesung nannten. Aber soweit war Peter noch lange nicht. Gut, er hatte sich
gerade wieder an der Uni eingeschrieben. Wollte mal gucken, ob ihm der Doktortitel
genauso nachgeschmissen werden würde wie der Magister. Aber er hatte ja keine
Eile. Trotzdem hatte er beschlossen, nicht jede Ersti-Party mitzunehmen und
stringent zu studieren. In seinem Erststudium hatte er die Leute bewundert, die
zielstrebig studierten. Das waren meist die Leute, die vor dem Studium schon
eine Berufsausbildung gemacht hatten. Die studierten oft ernsthaft, Peter eher
lachhaft. Neugierig war Peter vor allem auf seine Nebenfächer, denn die kannte
er noch nicht, außer rudimentär aus der Oberstufe bis zur Klasse 12, wie Philosophie.
In Psychologie war er hingegen gänzlich unbeleckt. Auch gut, er wollte sich mal
überraschen lassen. Publizistik kannte er schon aus seinem Erststudium. Doch
das war fast genau 30 Jahre her. Könnte sein, dass da inzwischen das ein oder
andere Fachbuch dazugekommen war. Quod erat demonstrandum.
(Aus: Thomas Ottensmann: Eher andersrum. Peter Wunderlich & die Liebe. Verlag Schellack & Leder. Hüsten
und Bochum 2025)
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